Einleitung
Der gesellschaftliche Wandel lässt bei vielen Menschen den Wunsch nach einer konkreten Verortung und verbindlichen Beziehungen entstehen. In einer globalisierten Welt wird die Unübersichtlichkeit größer und bisherige Lebensentwürfe werden den modernen Anforderungen nach Flexibilität und Mobilität nicht mehr gerecht. Die Vielfalt von kulturellen und gesellschaftlichen Vorstellungen über ein gemeinschaftliches Leben erschwert es dem Einzelnen, für sich eine tragfähige Orientierung zu finden. In diesen Umbruchzeiten bekommt Familie als Metapher für ein Zusammenleben in einer verbindlichen Geborgenheit eine immer größer werdende Bedeutung. Dabei projizieren die Menschen mehr Hoffnungen in ein Gebilde wie Familie hinein als diese konkrete Lebensgemeinschaft je erfüllt hat und erfüllen könnte. Das Judentum/Christentum hat Familie nie nur im Sinne einer verwandtschaftlichen Gemeinschaft verstanden, sondern immer als Modell des Zusammenlebens von Menschen, die sich gegenseitig verpflichtet fühlen. Analog zum alttestamentlichen Begriff „oikos“ versteht die Familienkirche daher auch ihre Aktivitäten als ein aktives Miteinander aller Generationen und Gruppierungen unter einem Dach. Dabei liegt der Fokus der Familienkirche bei Menschen, die sich als Eltern, Großeltern, usw. um die Entwicklung von Kindern bemühen. Dieser Schwerpunkt ist in dem Wissen begründet, dass es in Anbetracht der demografischen Entwicklung gesellschaftlich notwendig ist, eine Umwelt zu schaffen, in der Menschen Kinder großzuziehen bereit sind und zweitens darin, dass religiöses Wissen, spirituelle Bildung maßgeblich in der Kindheit begründet werden.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Die traditionelle Kleinfamilie ist heute nicht mehr die bestimmende Form familiären Zusammenlebens. Mannigfaltige Formen familiärer Strukturen haben sich ergeben, eine verbindliche Form des Zusammenlebens gilt heute als obsolet. Diese pluralistischen Formen machen eine stützende Orientierungsmöglichkeit für eine gelingende Partnerschaft und Kindererziehung schwerer. Die Überkomplexität der modernen Gesellschaft führt bei vielen Menschen zu einer Suche nach Sinn, die bei den Generationen vorher kaum notwendig war, da die sozialen Strukturen klarer vorgegeben waren. Die Sinnsuche des Einzelnen ist davon nicht berührt. Doch gerade für die Entwicklung von Kindern darf die Sinnsuche einer reifen Persönlichkeit nicht mit der Notwendigkeit einer klaren Einbindung in soziale Strukturen verwechselt werden. Gleichzeitig kann das Zugehörigkeitsgefühl zu christlichen Kirchen in Europa nicht mehr vorausgesetzt werden. Die Menschen suchen nach spirituellen Abenteuern und vermeiden feste Glaubensgemeinschaften und Verbindlichkeit.
Ausgehend von diesen Gedanken kann die Familienkirche als ein Ort der Orientierung ohne ideologische Einengung verstanden werden. Familien haben in der Vergangenheit Strukturen zur praktischen Unterstützung in Alltags- wie Krisensituationen zur Verfügung gestellt. In der heutigen Mediengesellschaft werden wesentliche Bereiche der Freizeitgestaltung, der Erziehung und Wissensvermittlung an Fernsehen, Internet und andere Institutionen delegiert. Freies Spiel, Entwicklung von Spielräumen zur kreativen Gestaltung, sinnvolles Miteinander wie auch viele Formen der freund- und nachbarschaftlichen Begegnung müssen teilweise neu entdeckt und etabliert werden.
Zielsetzung
„Der gesellschaftliche Auftrag der Familie soll sich auch in Formen politischen Handelns äußern, das heißt, die Familien müssen als erste sich dafür einsetzen, dass die Gesetze und Einrichtungen des Staates die Rechte und Pflichten der Familie nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern positiv stützen und verteidigen. In diesem Sinne sollen die Familien sich dessen immer mehr bewusst werden, dass in erster Linie sie selbst im Bereich der so genannten Familienpolitik die Initiative ergreifen müssen; sie sollen die Verantwortung für die Veränderung der Gesellschaft übernehmen. Sonst werden die Familien die ersten Opfer jener Missstände sein, denen sie zuvor nur gleichgültig gegenüberstanden.“
Johannes Paul II., Familiaris Consortio 44
Eine glaubwürdige Umsetzung der Idee einer Familienkirche verlangt sowohl eine politische Dimension wie auch ganz konkrete und situationsspezifische Angebote. Das Anliegen ist es, die Bedürfnisse von Familien auf politischer Ebene anzumahnen und an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. Dafür ist es ebenso notwendig, an einer ausgearbeiteten Theorie von Familienpastoral zu arbeiten und theoretisch politische Ansprüche begründen zu können. Je deutlicher und akzentuierter kirchliche Positionen in der Öffentlichkeit vertreten werden, umso eher können Forderungen durchgesetzt werden. Familien brauchen nicht nur eine starke Lobby, sondern auch Menschen, die nach innen klare und hilfreiche Grundsätze entwickeln und diese nach außen hin vertreten.
Mit den konkreten Angeboten versteht sich die Familienkirche als ein verlässlicher Ort, in dem die besonderen Fragen und Bedürfnisse von Familien unabhängig vom derzeitigen Zugehörigkeitsgefühl zur katholischen Kirche beheimatet werden können. Die Angebote der Familienkirche sind offene Einladungen, die eine Antwort auf zeitgemäße Bedingungen sind und für die Familien als eine Entlastung empfunden werden können. Wenn wir auf die Bedürfnisse der Familien heute eingehen wollen, brauchen wir:
- spirituelle Orientierung und lebendige christliche Vorbilder
- ein breites Spektrum der Liturgie und Austausch im christlichen Glauben
- gesunde tragfähige Strukturen des mitmenschlichen Miteinanders
- lebenspraktische Unterstützung in den verschiedenen Familienphasen
- Hilfe in Notsituationen
- Ruhepunkte im hektischen Getriebe zwischen Arbeit und Freizeit
- die Vernetzung und Bekanntmachung bestehender Angebote
Eine kirchliche Familienpastoral muss sich auf das beschränken, was sie tatsächlich leisten kann. Daher sind Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Gruppen notwendig, die viele Angebote besser leisten können. Bei allen Angeboten und Aktivitäten darf deutlich werden, dass religiös motivierte Menschen hinter dem Anliegen stehen. Die Aufgabe der Familienkirche ist es, denen einen Ort zu bieten, die in welcher Begrenzung und Einschränkung auch immer eine spirituelle Beheimatung suchen und zweitens denen Hilfe zu bieten, die Hilfe brauchen.
Innerhalb der Pfarre St. Joseph verstehen wir uns als pastorale Leitstelle, die mit ihren gemeindeübergreifenden Angeboten Familien bereichert und stärkt. Darüber hinaus bieten wir den Gemeinden Unterstützung in ihrem Engagement für Familien an. Eine Vernetzung und Zusammenführung von Aktivitäten verschiedenster Institutionen und Organisationen in Bottrop soll den Blick auf die Bedürfnisse der Familien aber auch auf deren Kompetenzen und Stärken richten und somit einen wertvollen Beitrag zur momentanen familienpolitischen Diskussion leisten.
Die Familienkirche hat einen experimentellen Charakter, damit sie auf die sich ständig ändernden Bedürfnisse reagieren kann. .
Personelle Besetzung
Die Verantwortung für die Familienkirche liegt in der Hand eines Leitungsteams, das sich aus den aktiven Ehrenamtlichen und einem Priester der Pfarre St. Joseph zusammensetzt. Beide, sowohl die Laien, wie auch der Geistliche bringen ihre spezifischen Fähigkeiten und Spiritualität in die Arbeit der Familienkirche ein und tragen so zu einem bereichernden, fruchtbaren Miteinander bei. Für das Gelingen dieser Pionierarbeit im Bistum Essen ist eine Begleitung sowohl theoretisch-/wissenschaftlich-theologisch als auch im Sinne einer Supervision erforderlich. .
Konkret:
Die 7 Säulen als Fundament, Spektrum und Vision von Familienkirche
- Spiritualität: Abendgebete, Frühschichten, Bräuche/Tradition als Leitlinien für den Alltag, Bibel-/Glaubensgesprächskreise, Liturgischer Tanz, Taizé-Gebete, Kinderglaubenstage, Ora et Labora
- Gottesdienst/Sakramente: Wöchentliche Familienmessen, Liturgiewerkstatt, Erprobung neuer Liturgieformen, Adventsfenstergänge, Segensfeiern, Parallele Kinderwortgottesdienste, Skatergottesdienst, Schulung zur Kommunion-/Firmkatechese, Messdienergruppen. Bei den liturgischen Angeboten für Familien wird Wert darauf gelegt, dass hierin tatsächlich die ganze Familie angesprochen wird. Neben den Kindern sind die Eltern als Erwachsene eine wichtige Zielgruppe der Angebote.
- Praktischer Alltag: Institutionsübergreifende Aktionen mit Kindergarten, Schulen und Altenwohnen, Mehrgenerationenveranstaltungen, Babysitterservice, Ehebegleitung, Flohmarkt/Kinderkleidermarkt, Projektförderung Nachbarschaftshilfe, Talentbörsen und andere Tauschsysteme für die Bildung von tragfähigen Nachbarschaftsnetzwerken
- Beratung/Bildung: Familien-Weiterbildung vor Ort, Bibelgeschichten lesen für Kinder, Ehevor-/nachbereitung, Krisenmanagement in der Ehe, Eltern-Erfahrungsaustausch, Entwicklung von Mentorensystemen, Familienhilfe/-unterstützung, Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten durch spezielle Bildungsangebote, Kurse für praktische Alttagsfähigkeiten wie Kochen, Handarbeiten oder Kreative Gestaltung
- Krisenintervention/Hilfe in Notlagen: Vernetzung von Hilfsangeboten, Ansprechpartner/Vermittler, Auffangen von Familienmitgliedern in Grenzsituationen, Familientelefon, Krisenintervention, Unterbringungsmöglichkeiten in Krisen mit fachlicher Begleitung
- Freizeit/Begegnung: Bastelgruppen, Familienchor, Elterndisco, Erzählkreis/Erinnerungsarbeit, Familienbegegnungsangebote, Sonntagskaffee, Familienwandern, Familienfreizeiten, Ferienaktionen, Kinderdisco, Jugendtreff, Musikalische Projekte mit Familien
- Öffentlichkeitsarbeit: Familienbriefe, Familienforum fürs/im Internet, Homepage zur Angebotsvernetzung, Ideenbörse, Familiengottesdienstpool, vierteljährliche Zeitung rund um die Familienkirche, Vertretung der Anliegen von Familien in anderen öffentlichen Einrichtungen
Diese Aufzählung ist nicht und wird auch nicht vollständig sein. Hier sind Ihre Ideen, Anregungen und v.a. auch praktische Umsetzungen gefragt. Je mehr Menschen sich an der konkreten Arbeit und Vorbereitung beteiligen, um so vielfältiger, farbenfroher und lebendiger wird unsere Familienkirche. |